Der Dom von Aquileia

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Das zweibändige Werk ist die erste Monografie zum Dom seit 1933. Neben den vieldiskutierten Mosaikböden steht der frühromanische Dom im Mittelpunkt, der zu den bedeutendsten Bauten der Zeit um die Jahrtausendwende gehört, als solcher aber kaum gewürdigt wurde. Neben der Darstellung der bewegten 1700 jährigen Baugeschichte werden besonders die historischen Hintergründe behandelt, die zu diesem repräsentativen Bau führten, der im Umfeld des heutigen Dorfes erstaunt.

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Erschienen 2022, Band 1: 320 Seiten, Band 2: 360 Seiten, 23 x 39 cm.

ISBN-978-3-8186-1564-2

Eine Domgeschichte in zwei Bänden

Einführung ins Buch von Christoph Ulmer

 

Der Dom von Aquileia blickt auf eine fast zweitausendjährige Geschichte zurück. Jede Epoche - vom frühen Christentum bis in die Gegenwart - hat ihre Spuren hinterlassen. Der Besucher findet daher bei einem Rundgang eine Vielzahl von eindrucksvollen Zeugnissen aus zum Teil weit auseinander liegenden Epochen. Es ist nicht leicht, diese im Zusammenhang des Domkomplexes wie auch der allgemeinen Kultur- und Kunstgeschichte zu sehen und zu verstehen. Diese Zusammenhänge sind immer wichtig, im Dom von Aquileia jedoch in besonderer Weise, denn die Bedeutung der Mosaikböden liegt nicht in ihrer erstaunlichen Größe, sondern in der Tatsache, dass sie das Zeugnis eines sehr frühen Kirchenbaus sind, wie er sonst nirgendwo so gut erhalten blieb. Entsprechendes gilt für den Dombau des Hohen Mittelalters, sowohl für die Architektur wie für die Malerei der Romanik. Erst im Rahmen der allgemeinen Kultur- und Kunstgeschichte kann die einzigartige Bedeutung des Domes verständlich werden.

Viele Besucher wundert auch die Größe des Domes im verschlafenen Dorf von Aquileia. Will man dies verstehen, muss man den historischen Hintergrund der einst blühenden Stadt kennen. Auch ist es in Europa ein vielleicht einzigartiges Phänomen, dass ein im Grunde schon im Mittelalter nutzlos gewordener Dom dennoch über Jahrhunderte erhalten wurde, doch auch dafür gibt es besondere historische Gründe. Um das Verständnis für den Dom zu ermöglichen, enthält dieses Buch daher umfangreiche Kapitel zum historischen Hintergrund. Geschichte wird hier zur sichtbaren Form.

 

Es ist merkwürdig, dass sich in den letzten hundert Jahren niemand an eine Monografie zum Dom von Aquileia gewagt hat, gerade für die deutsche Geschichte ist der Dom ein ganz herausragendes Monument. Mir des Umfangs bewusst, den ein solches Projekt annehmen würde, habe ich versucht, ein Institut dafür zu gewinnen, um im Rahmen mehrerer Doktorarbeiten den Dom in seiner Ganzheit aufzuarbeiten. Trotz Zusagen einer Finanzierung stieß ich jedoch nirgends auf Interesse. So habe ich es schließlich gewagt, die Monografie alleine zu unternehmen - ohne finanzielle Unterstützung (die nur über institutionelle Einrichtungen erfolgen kann). Wie aber finanziert man ein solches Werk heute, da keine Banken und keine Regierungen mehr Zuschüsse gewähren und ein überfüllter Buchmarkt einer stark geschrumpften Leserschaft gegenübersteht? Eine Publikation mit dem notwendig guten und umfangreichen Bildmaterial gelingt nur, wenn die Auflage eine gewisse Höhe erreicht, was bei einer reinen Fachpublikation nicht möglich ist.

 

Daher habe ich mich zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen: Ich lege hier zwei Bände vor, im ersten findet sich ein sehr umfangreiches Bildmaterial in Farbe und ein einführender Text, wie ihn auch heute noch der interessierte Laie hoffentlich gerne liest. Er ist von sicherlich vereinfachenden Kapiteln zu allgemeinen Fragen wie der Christenverfolgung oder dem Bilderverbot begleitet, weil in diesen Punkten beim Publikum eine falsche Vorstellung verbreitet ist. Diese stammt noch immer von berühmten und wunderbar vorgetragenen Arbeiten des 19. Jahrhunderts. Der erste Band ist der Versuch, einen Kompromiss vorzulegen, und damit besteht vielleicht das Risiko, sich zwischen den Stühlen zu finden: zu oberflächlich für die Fachwelt, zu ausführlich für den Laien. Andererseits: Wenn wir Kunsthistoriker uns nicht bemühen, auch so komplexe Themen wie den Dom von Aquileia umfassend für ein breites Publikum aufzuarbeiten, tragen wir dazu bei, dass längst überholte Vorstellungen immer weiter Verbreitung finden, als sei in den letzten hundert Jahren die Forschung nicht viel weitergekommen.

Interessierte Leser können dann im zweiten Band die Vertiefung der einzelnen Themen finden. Hier werden unterschiedliche Theorien vorgestellt und ihre Plausibilität überprüft. Auch wenn selbst hier nicht die ganze Literatur zum Thema behandelt werden kann, so wurde doch versucht, die wichtigsten Arbeiten vorzustellen und ihre Ergebnisse zu diskutieren. Der zweite Band hat auch einen großen Apparat an Fußnoten, wie ihn viele wissenschaftliche Leser schätzen; mögen auch sie so befriedigt werden.

Der zweite Band enthält auch einige Beiträge von speziellen Fachleuten: Mara Mason liefert eine Neudatierung der Kryptafresken und ihren Zusammenhang mit den Mosaikwerkstätten Venedigs; Markus Wenninger stellt die Bedeutung der Patriarchen von Aquileia für die Politik der mittelalterlichen Kaiser dar; Paolo Piva beschäftigte sich mit der Datierung der Chorschranken; Giordano Brunettin diskutiert die problematische Interpretation der Mosaiken im Sinne einer gnostischen Lesart; Emanuela Guidoboni untersuchte die Erdbeben von Aquileia und ihre Folgen für den Dom; Petra Urbanova entnahm 25 Mörtelproben für eine Datierung der untersten, ältesten Partien der Mauern und erläutert ihre Datierung; Guido Driussi untersuchte Mörtelproben aus allen Höhen auf ihre chemische und physikalische Zusammensetzung und das Labor Kotalla untersuchte das Alter von 20 Ziegelsteinen aus unterschiedlichen Bauteilen auf ihr Alter. Diese Aufsätze tragen in vielfältiger Weise zum besseren Verständnis der Baugeschichte bei, und ihre Ergebnisse sind in den Haupttext eingeflossen.

 

 

 

Zum Inhalt:

 

Die frühchristliche Domanlage

 

Unter dem Dom wurden bei Ausgrabungen um 1900 sehr umfangreiche Reste einer ganz frühen Kirchenanlage ausgegraben. Ihre Datierung ist etwa um 300 anzusetzen, spätestens um 330 muss der Mosaikboden im Wesentlichen vollendet gewesen sein. Diese wohl von Anfang an bischöfliche Anlage war wahrscheinlich von so ungewöhnlicher Gestalt, weil sie so früh entstand. Leider ist eine genaue Datierung unmöglich, doch ist sie wohl ein Beispiel für einen Kirchenbau bevor die konstantinischen Basiliken vorbildlich wurden.

Wie so oft entstand die Kirche über Häusern wohlhabender Bürger. Ob es in einem dieser Häuser schon eine kirchliche Nutzung gab, ob der gesicherte erste Bischof Theodor vielleicht sogar der Stifter von Grundstück und Kirchenbau war ist unklar. Eine Inschrift im Boden überliefert: Teodore felix - hic crevisti- hic felix. (Bild 1) Bedeutet dies, dass er hier heranwuchs, also hier sein Elternhaus stand, oder dass er hier in der Gemeinde zum Bischof aufstieg? In jedem Fall scheint das hic eine Vorgeschichte des Theodors an dieser Stelle zu dokumentieren. Leider ist es archäologisch nicht möglich, die offensichtlich erfolgten Umbauten der römischen Häuser um 300 genauer zu klären und damit auf die Nutzung zu schließen. Manche meinen, hier seien zwischenzeitlich Lagerhäuser gestanden, andere wollen hier eine Hauskirche erkennen. Ein längliches Becken (Bild2) aus der frühen Umbauphase könnte als frühes Taufbecken gedient haben.

Über den umgebauten Häusern entstand in jedem Fall ein großer Kirchenkomplex mit zwei großen Kulträumen, einer Verbindungshalle sowie kleineren Nebenräumen, unter denen ein Baptisterium gesichert werden konnte. (Bild 3) Die Hallen waren weite, wenig gegliederte Räume mit flachen, bemalten Decken und ebenfalls sehr bunten Wänden, deren Sockelzone eine fingierte Marmorinkrustation zeigt, die bis auf fast einen Meter Höhe gut erhalten blieb. (Bild 4) Die Böden der beiden großen Hallen wurden mit Mosaiken ausgelegt, wie sie in den privaten Häusern der Zeit üblich waren. Auch die Themen der Bilder sind weitgehend dieselben, weshalb immer wieder erwogen wurde, in den Räumen ursprünglich eine Palastanlage zu erkennen: auch hier habe Konstantin der Kirche einen Palast gestiftet. Da aber eine solche Stiftung nicht dokumentiert ist und der konstantinische Palast an ganz anderer Stelle in der Stadt vermutet wird, scheint für diese These nichts zu sprechen.

Sicher ist der Mosaikboden in mehreren Phasen entstanden, unklar aber ist, wie groß der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Teilen ist. Die stilistisch anscheinend ältesten und künstlerisch mit Abstand besten Teile liegen im Nordosten: Hier haben die dargestellten Tiere noch eine fast klassische Lebendigkeit und Körperlichkeit. Die Kombination der Tiere mit Attributen wie Sichel, Horn oder Stab sowie ihre Platzierung auf Baumkronen gibt Rätsel auf. (Bild 5) Bei diesen Teilen würde man gerne eine Datierung noch ins 3. Jahrhundert annehmen.

Die übrigen Mosaikteile der nördlichen Halle erscheinen dagegen schwächer, die Ausführung gröber, und die Tiere besitzen keine Plastizität und Lebendigkeit mehr, sie sind stark stilisiert. (Bild 6)

Darin entsprechen sie den Darstellungen der recht einheitlichen Mosaikböden der Südhalle, die allerdings qualitativ etwas besser sind. Zahlreiche Porträtbilder geben hier Rätsel auf, ob es sich um bestimmte Personen handeln kann, Stifter beispielsweise? Doch entspricht auch diese Häufigkeit von Bildnissen vielen profanen Böden der Zeit. (Bild 7) Eine Viktoria und ein guter Hirte können im christlichen Sinn gedeutet werden, genauso gut aber können sie als fester Bestandteil der antiken Tradition aus einem heidnisch profanen Umfeld hergeleitet werden. (Bild 8+9)

Sicher christlich ist lediglich die Einfügung eines Jonaszyklus in eine Fischfangszene, wie sie in zahllosen Böden der Zeit, zum Beispiel in Piazza Armerina, bekannt ist. Der Jonas scheint nachträglich in das Mosaik eingefügt, vielleicht erst im Zusammenhang mit dem Tod des Stifter-Bischofs Theodor, an dessen Wirken eine Inschrift Mitten im Jonaszyklus erinnert. (Bild 10)

 

Der Mosaikboden wurde oft mit Superlativen gerühmt, gar als der größte erhaltene bezeichnet; selbst der Mosaikboden der Basilika von Monastero, ein Vorort von Aquileia, ist allerdings noch größer. Auch von der künstlerischen Qualität ist der Boden eher durchschnittlich, lediglich die scheinbar ältesten Teile können sich mit den besten Werken der Zeit messen. Der einzigartige Wert des Bodens liegt darin, dass hier ein Versuch erhalten blieb, eine ganz frühe Kirchenanlage prächtig auszustatten. Wahrscheinlich war hier kein kaiserlicher Stifter beteiligt, nicht einmal die reiche Oberschicht von Aquileia, die wohl immer noch dem Christentum feindlich gegenüberstand. Der Bau und seine Ausstattung erwecken den Eindruck, dass hier etwas mit den beschränkten Mitteln einer Gemeinde errichtet wurde, weshalb weder Säulen verbaut wurden, noch ein kostbarer Marmorboden möglich war, wie er in reichen Palastaulen üblich und daher in den kaiserlichen Kirchenstiftungen wiederzufinden ist. Das Vorbild für den Boden von Aquileia stammt dagegen aus den besseren, aber doch eher normalen Häusern der Stadt.

Beim gewohnten Bildprogramm scheint man aber einen christlichen Sinn unterlegt zu haben: der jahreszeitliche Wandel, Fruchtbarkeit und Wohlleben, wie es einst als Folge des Friedensreiches kaiserlicher Politik dargestellt wurde, kann nun als christliches Friedensreich gelesen werden, der gute Hirte wird zum christlichen Guten Hirten, die Natur zur Darstellung eines Paradieses. Der Boden ist wohl weniger der Beginn einer christlichen Bildkunst als vielmehr der Abschluss der antiken Bilderzyklen in Bodenmosaiken: Die geringe Lesbarkeit von Bildern und Bildzusammenhängen in Böden, besonders wenn diese bei Gottesdiensten besetzt sind, sowie der notwendige Skrupel einer Darstellung heiliger Bilder im Boden führte bald zu den Mosaikbildern an den Wänden, hoch erhoben und für alle auch während dem Gottesdienst sichtbar.

Dieser Boden hat eine Mosaiktradition in den Kirchen von Aquileia begründet, die sich bis ins 6. Jahrhundert fortsetzte, wenn auch bald mit rein ornamentalen Motiven. Darin bildet die Kirchenprovinz von Aquileia eine gewisse Besonderheit in Europa, verbindet sie aber mit dem syrischen Kulturraum, mit dem auch intensive Handelsbeziehungen bestanden.

 

Es scheint mir möglich, dass wir in Aquileia einen Bau vor uns haben, der bereits vor dem Ende der von Diokletian eingeleiteten Christenverfolgung entstand: Urkundlich sind einige Kirchenbauten bekannt, die bereits nach dem Ende der offiziellen Christenverfolgung Mitte des 3. Jahrhunderts entstanden. In den 50 Jahren bis zur überraschenden Wiederaufnahme der Verfolgung unter Diokletian wurden, wie in Nicomedia bezeugt, selbst sehr große, weithin sichtbare Kirchen errichtet. Keiner dieser Bauten konnte bisher archäologisch nachgewiesen werden, weshalb auch umstritten ist, ob es schon vor Konstantin Kirchen als Basiliken gab. Die Hallenanlage von Aquileia kann als ein älteres Modell gelesen werden und vielleicht dokumentiert der Bruch in Qualität und Stil zwischen dem kleinen Bereich der schönsten Mosaikbilder im Nordosten mit dem großen Rest der Böden einen Abbruch der Bautätigkeit, der durch die neuerliche Christenverfolgung ausgelöst wurde. Dass längst nicht alle frühen Kirchen des 3. Jahrhunderts in der Verfolgungszeit zerstört wurden, beweisen die Schriften von Eusebius.

 

Die große Domanlage des 4. Jahrhunderts

 

Ostern 345 erlebte Athanasius, kämpferischer und verbannter Patriarch von Alexandria, die Messe in Aquileia in einer unvollendeten Kirche, die Gemeinde sei zu groß für den alten Raum gewesen. Da hatte wohl schon die Erweiterung der Hallenanlage des Theodor begonnen, indem man die nördliche Halle mit einer sehr viel größeren Basilika ohne Apsis überbaute. Etwa 50 Jahre später folgte die Ergänzung durch eine südliche Basilika, dazwischen lag ein neues Baptisterium, das aber bald durch ein weiteres ersetzt wurde, das bis heute teilweise erhalten ist und der südlichen Basilika gegenübersteht. (Bild 11) Die Frage nach einer doppelten Kathedrale beschäftigte viele Fachleute, es ist ein Phänomen das wir bis ins Mittelalter verfolgen können; in Syrien finden sich manchmal sogar vier Hallen nebeneinander; eine eindeutige Erklärung gibt es nicht, die Theorien werden im 2. Band ausführlich behandelt.

Vor beiden Basiliken lief eine lange Vorhalle als Verbindungsgang, die wohl am Bischofspalast ihr nördliches Ende fand. Vor der nördlichen Basilika lag ein weites Atrium, vor der südlichen ein ganz kleines als Verbindung zum Baptisterium.

Diese Basiliken entstanden bereits fast einen Meter über dem Niveau der Vorgängerbauten, die samt ihren Mosaiken zugeschüttet wurden. Über den Mosaiken fand man reichlich Abbruchmaterial, aus dem Teile der Freskendekoration geborgen werden konnten, zudem hat diese dicke Schicht die Mosaikböden geschützt und uns so vorzüglich bewahrt. Von der viel größeren und wohl auch prächtigeren Anlage des späten 3. Jahrhunderts ist dagegen viel weniger erhalten: größere Teile der Mosaikböden der Nordbasilika konnten gefunden werden, da sie schon früh aufgegeben wurde. Die Grabungen von 1900 haben dagegen die Reste der Böden der Südbasilika weitgehend zerstört, nur im Bereich der Vierung konnten noch Reste davon sichergestellt werden. So ist von dieser wohl prächtigsten, sicher aber größten Domanlage von Aquileia heute nicht viel zu sehen. Allerdings nutzt der mittelalterliche Dom in wesentlichen Teilen deren Fundamente weiter und möglicherweise sind auch Teile der Außenmauern noch von diesem Bau erhalten.

Schon bald nach Vollendung dieser Domanlage begann der Niedergang der Stadt, was in der Eroberung und womöglich Zerstörung durch Attila einen Höhepunkt fand. Der Bischof floh in die Lagune nach Grado, wo in den folgenden Jahrhunderten ein neuer Domkomplex entstand. Ob es gleichzeitig einen Wiederaufbau in Aquileia gab und wie weit dieser gediehen ist bleibt unklar, wie auch das Ausmaß einer möglichen Zerstörung durch Attila unbekannt ist.

 

Aquileia im Frühen Mittelalter

 

Unter byzantinischer Herrschaft übernahm der Bischof von Aquileia den Titel eines Patriarchen, reklamierte für sich eine eigene, apostolische Tradition, die auf den Apostel-Evangelisten Markus zurückgeführt wurde; er stand nun zunehmend in einem Konflikt mit dem Papst in Rom. Nach der langobardischen Landnahme verblieb Grado mit den Lagunen unter byzantinischer Herrschaft, und auch der Patriarch diente als Instrument byzantinischer Herrschaft im nördlichen Adriaraum. Das führte wohl dazu, dass mit langobardischer Rückendeckung in Aquileia ein eigener Patriarch eingesetzt wurde, der als Erzbischof die große, langobardische Kirchenprovinz regierte. Seitdem gab es zwei Patriarchen, den byzantinisch geförderten in Grado, der bald ins aufstrebende Venedig umzog und den langobardischen Patriarchen, der seit dem 8. Jahrhundert in der Residenzstadt Cividale saß. Ob es unter byzantinischer oder unter langobardischer Herrschaft zu einer Erneuerung des Domes gekommen ist, bleibt leider wieder unklar.

Als Karl der Große mit dem Sieg über die Langobarden die Nachfolge im Königreich Italien antrat und eine Anerkennung seiner Kaiserwürde von Byzanz wünschte, kam es zu einem politischen Vertrag, der die Unabhängigkeit der Lagunen vom karolingischen Italien bestätigte und das Patriarchat von Grado anerkannte. Ob es aber zu einer deutlichen Unterstützung des Patriarchen von Aquileia/Cividale kam ist wieder unklar: Karl der große schenkte dem Patriarchen Maxentius zwar einen Landbesitz in Aquileia, den dieser brauchte, um den Bau von atrii zu ermöglichen. Ob damit ein Kirchenbau oder aber eine bischöfliche Residenz gemeint war, ist ebenso unklar wie die Frage, ob in der Folge überhaupt eine Bautätigkeit stattgefunden hat. Aus der Zeit haben wir fast keine schriftlichen Zeugnisse zu Aquileia, lediglich einige Familien sind bekannt, die Aquileia verlassen haben und nach Venedig übersiedelten. Zu einem erfolgreichen Neubeginn von Dom und Stadt scheint es nicht gekommen zu sein. Wesentliche Bauteile, die traditionell einem karolingischen Dom zugesprochen wurden, sind in der heutigen Forschung praktisch einhellig als spätere Arbeiten nach 1000 anerkannt, so die Krypta und die Chorschranken.

 

Der Dom im Hohen Mittelalter

 

Unter Otto dem Großen wiederholte sich die politische Lage, Byzanz musste befriedigt, die Unabhängigkeit von Venedig und dem Patriarchen von Grado bestätigt werden. Erst seine Nachfolger nahmen darauf keine Rücksicht mehr, doch erwies sich Venedig schon bald als wirtschaftlich und politisch zu mächtig und gleichzeitig als Partner mit Flotte zu wichtig, um einen dauerhaften Konflikt herbeizuführen. Immerhin wurde nun der Patriarch und Erzbischof über die Reichsgebiete im Nordosten massiv gefördert und die Ernennung erfolgte stets aus dem vertrauten Umfeld der Kaiser. Spätestens Patriarch Johannes, der an der Weihe des Bamberger Domes als führender Vertreter der Kirche Italiens mitwirkte, scheint an eine Rückkehr nach Aquileia gedacht zu haben, doch erst unter seinem mächtigen Nachfolger Poppo ist die Rückkehr bezeugt: er stiftete vor Ort ein erheblich erweitertes Kapitel und weihte einen Domneubau, wovon das Apsisfresko sichtbar Kunde gibt, eines der frühesten, erhaltenen Beispiele der romanischen Wandmalerei Europas (Bild 12). Wie weit er den heute noch im Wesentlichen sichtbaren Dombau errichtet hat, ist wieder umstritten: Gab es schon ältere Teile, die er weiternutzen konnte, hatte Johannes schon mit einem Neubau begonnen oder hat erst Poppo diesen begonnen; wurde er in seiner Amtszeit noch fertig? Mehrere Planänderungen lassen sich am Bau ablesen, offensichtlich wurde erst mit einem eher deutschen Bau begonnen, der den gleichzeitigen Domen von Ivrea und Aosta ähnlich geworden wäre, welche auch unter kaisernahen Bischöfen errichtet wurden. Mit dem mächtigen Querhaus, den eingestellten Säulen an dessen Enden, den fast klassischen Kapitellen über mächtigen Säulen und damit dem Verzicht auf einen Stützenwechsel, ist eine geänderte Baugesinnung ablesbar, für die nun das Vorbild der Peterskirche in Rom bestimmend wurde. Ob dies wegen des apostolischen Anspruchs oder wegen der imperialen Bedeutung dieser konstantinischen Stiftung, dem Krönungsort der Kaiser, geschah, ist wieder umstritten. Sehr wahrscheinlich fügte noch Poppo den mächtigen Campanile an, das vielleicht früheste Beispiel dieses später so verbreiteten Modells eines freistehenden Glockenturmes, der sein Vorbild wohl ebenfalls am Petersdom in Rom fand.

Dieser Bau übertraf bei weitem den vom Dogen gestifteten Dom von Torcello und wohl alle anderen Kirchenbauten im Nordosten Italiens. Der Angriff auf Grado, die gewaltsame Rückführung von Reliquien sowie die erfolgreiche Aberkennung aller Sonderrechte Grados durch den Papst markieren den Höhepunkt in Poppos Wirken zur Demonstration und Durchsetzung der besonderen Stellung der Patriarchen von Aquileia.

Venedig war beleidigt und reagierte mit dem Neubau von San Marco an Stelle der erst kurz vorher errichteten kleineren Kirche. Auch hier wurde nun eine Apostelkirche errichtet, allerdings nach byzantinischem Vorbild, und ein umfangreicher, in mehreren Schritten erweiterter Markuszyklus verkündete als Mosaikprogramm den Anspruch Venedigs auf die rechtmäßige Nachfolge des Markus, Aquileia sollte als zweitrangige, weil jüngere Gründung kenntlich gemacht werden. In diesem Propagandakrieg entstand wohl um 1100 die Ausmalung der Krypta mit einem umfangreichen, ganz ausgezeichnet erhaltenen Freskenzyklus, der auf die ersten Bilder im Markusdom reagierte, um dann von den späteren gewissermaßen widerlegt zu werden.

So entstand im 11. Jahrhundert eine mächtige Domanlage mit hervorragender Innenausstattung von einzigartigem Wert: Es ist das am besten erhaltene Beispiel einer Kathedrale am Anfang der Romanik, innovativ in vielen Elementen und zudem ganz ungewöhnlich gut erhalten: während andere Dome erneuert oder ganz neu errichtet wurden, blieb dem Dom von Aquileia eine Erneuerung weitestgehend erspart, weshalb auch im 19. Jahrhundert keine der verheerenden Überrenovierungen stattfand, die den romanischen Bestand zusätzlich verringerten.

 

Der Dom im späten Mittelalter und in der Neuzeit

 

Im 13. Jahrhundert versumpften weite Teile der Umgebung Aquileias und Malaria breitete sich aus. Die Patriarchen, die inzwischen auch die Landesherrschaft über den Friaul erhalten hatten, hielten sich immer weniger in Aquileia auf und bevorzugten zunehmend die zentral gelegene Burg von Udine als Residenz. Als 1348 ein schweres Erdbeben Teile des Domes zum Einsturz brachte, sollte auch der Dom nach Udine verlegt werden, was aber der Papst ablehnte. Der Wiederaufbau des wenig genutzten Bauwerks zog sich aus mangelnder Begeisterung lange hin und erfolgte unter maximaler Bewahrung des Bestandes. Sicher wollte man damit auch Kosten sparen, aber man gewinnt den Eindruck, dass der Wiederaufbau auch als Monument der historischen Bedeutung des Patriarchats absichtlich in konservativen Formen blieb; denn mehr als ein Monument war der Dom nicht, den seine Bischöfe kaum noch besuchten. Ein reduziertes Kapitel vor Ort, das einst von Poppo mit reichlich Besitz ausgestattet worden war, erhielt die Kirche.

Beim Wiederaufbau wurde das Mittelschiff über gotischen Bögen neu aufgeführt und schließlich die hölzerne Wölbung eingezogen; dazu kamen einige spätgotische Kapitelle mit schönem Figurenschmuck. Ansonsten blieb der frühromanische Bau erhalten.

Um 1500 erneuerte das Kapitel im Stil der venezianischen Frührenaissance das Presbyterium und es entstand der elegante heutige Aufgang zum Chor. Eine völlige Umgestaltung des Chores unterblieb, wohl wegen der Kosten, lediglich ein neuer Hochaltar sowie ein Seitenaltar mit Ziborium wurden ausgeführt.

 

Nachdem die Venezianer 1420 den Friaul eroberten und der Patriarch seine weltliche Herrschaft verloren hatte, sorgte Venedig stets für eine Ernennung von venezianischen Patriziern als Patriarchen von Aquileia. Da der größere Teil der Suffraganbistümer aber im habsburgischen Herrschaftsbereich lag, störten sich die Kaiser in Wien an diesen Ernennungen und forderten mehrfach ein ende dieser Berufungspraxis. Man berief sich auch auf die alte, kaiserliche Tradition des Patriarchats und des Domes, womit die Frage eine zunehmend nationale Komponente bekam. In diesem Zusammenhang ließ das Kapitel ab 1733 die Apsisfresken mit ihrem kaiserlichen Bildprogramm übermalen, das ganz unbedeutende Werk wurde um 1900 wieder entfernt, was zu erheblichen Schäden am romanischen Fresko führte.

Im 19. Jahrhundert gab es umfangreiche aber für die Zeit ganz erstaunlich vorsichtige Restaurierungen, die vom Kaiser in Wien finanziert wurden und 1900 erfolgte dann die Aufdeckung der Mosaiken.

Das Buch schließt mit einem Bericht über die nationale Inbesitznahme des Domes durch Italien nach dem Ersten Weltkrieg, was mit unserem zeitlichen Abstand schon komische Züge trug.